Vier Jahreszeiten

(von Nati Merlin)

Im Tal von Merlin begegneten mir vier Elfen. Sie luden mich ein, mich zu ihnen zu setzen. Wir sassen in einer Runde, auf dicken Findlingen, auf einer Wiese mitten im Wald, im ersten Sonnenlicht des frühen morgens. Noch lag die Wiese um uns herum im dunstigen Morgennebel, aber dennoch fühlte ich die Wärme der Sonne, die gerade erwachte, auf meiner Haut. Die ersten bunten Schmetterlinge tanzten ihren Morgentanz über unseren Köpfen und die Bäume die uns umgaben, glänzten als sei ihr Laub über und über mit Perlen besetzt, denn der Morgentau hatte sie benetzt.

Wie wir so da sassen, begann die erste Elfe zu erzählen. Sie trug ein grünes Kleid aus feingewebten Naturfasern. Das Kleid war so feingewebt, dass es aussah, als wäre es aus reiner Seide, aber ich konnte sehen, dass es aus Blättern und Gräsern gewebt und mit wunderschönen zarten Blüten bestickt war.Sie trug einen wunderschönen Kranz auf ihrem Kopf, der aus zart rosa-weissen Blüten geflochten war.„Ich bin der Frühling“, sagte die Elfe, „ich trage das Zepter der Auferstehung und des Neubeginns mit mir und ich bin gekommen, um Hoffnung in das Tal der Menschen zu bringen. Ich symbolisiere die Fruchtbarkeit und werde alles zu neuem Leben erwecken. Ich erlöse euch aus den Fängen des Winters. Alle Samen in der Erde werden erwachen, aus ihnen wird neues Leben entstehen. Alles was der Winter mit sich genommen hat, liess etwas zurück, um von mir wieder in ein neues Leben gerufen zu werden. Ihr werdet es erkennen, wenn die ersten Blumen sich ihren Weg aus der kalten, dunklen Erde bahnen und eure Herzen mit ihrer bunten Vielfalt erfreuen. Auch die nackten, kahlen Bäume werden mit Blättern und Blüten geschmückt in ein neues Leben zurück kehren. Ich trage die Sonne, die euch Kaft und Wärme gibt, in eure Herzen zurück und hauche ihnen Zuversicht und Hoffnung für das neue Leben ein.“

„Und ich bin der Sommer“, sagte die zweite Elfe. Sie trug ebenfalls ein zartes, aus Naturfasern gewebtes Kleid. Das Kleid leuchtete feuerrot und ich spürte bei diesem Anblick ein ganz warmes Gefühl in mir. Das Kleidchen war gleichermassen hauchdünn, wie aus weicher Seide gewebt und es war mit den wunderschönsten Sommerblumen besetzt. Auf ihrem Kopf trug sie einen Blumenkranz, der aus den prächtigsten Rosen, die ich je gesehen hatte, geflochten war.„Ich komme, um alles gedeihen und wachsen zu lassen, ich bin die Festigkeit, die Energie, die Kraft in euch. Das Zepter, das ich mit mir trage, symbolisiert die Liebe und den Glauben an das Leben. Ich lehre euch, einander zu lieben und an eure Zukunft zu glauben. Ihr werdet durch mich gefestigt und gestärkt auf eurem Lebenspfad gehen, es ist die Hochzeit eures Daseins. Ich trage euch in den Herbst.“

„Ja“, sagte die dritte Elfe, „ich bin der Herbst, mein Zepter ist das Symbol der Reife. Wenn ich komme, ist die Zeit der Ernte angebrochen.“ Diese Elfe trug genau wie die beiden ersten Elfen, ein seidenweiches, dünnes Kleid, ebenfalls aus Naturfasern gewebt. Ihr Kleid war in einem warmen Braunton und mit den verschiedensten Herbstfrüchten, wie Bucheckern, Nüssen und Kastanien besetzt. Der Kranz auf ihrem Kopf war aus buntem Herbstlaub geflochten. „Wenn ich zu euch komme, sind die Früchte eures Lebens sichtbar und gereift.Das Getreide, welches ihr gesät habt, ist zur Ernte bereit. Je sorgfältiger ihr gesät habt, umso zufriedener werdet ihr mit euren Erträgen sein. Eure Erträge sind die Sicherheit für das spätere Leben. Aber ich trage auch die Vergänglichkeit mit mir, denn nach der Ernte ist mancher Boden kalt und leer und hinterlässt einen Anblick voller Traurigkeit.Der Winter nimmt euch aus meiner Hand.

“Nun schaute mich die vierte und letzte Elfe an. Sie trug ein schneeweisses Kleid, es war nicht so hauchdünn wie das Kleid der anderen Elfen. Aber es sah wunderschön aus, denn es leuchtete, wie aus millionen von Eiskristallen gewebt. Auch der Kranz auf dem Kopf dieser Elfe bestand aus glitzendern Eiskristallen und diese erinnerten mich an übergrosse Schneeflocken.„Wenn ich komme, ist längst alles Leben erloschen“; erklang die kräftige, tiefe Stimme der Elfe des Winters, „doch ich trage das Zepter des Frieden mit mir und ich decke mein weisses Kleid über euch, um euch in der kalten Erde zu schützen. Mit meinen eisigen Winden wiege ich euch in den tiefsten Schlaf eures Lebens und mit meiner klirrenden Kälte reinige ich die Seelen und gebe ihnen die Unschuld zurück.Durch mich werdet ihr in eurem tiefen Schlaf die Leichtigkeit des Seins erfahren. Doch alles hat seine Zeit und wenn die Zeit gekommen, da ich mein weisses Kleid wieder von euch nehme, werdet ihr vom Frühling empfangen, dann wartet ein neues Erwachen auf euch.“Ergriffen und tief beeindruckt sass ich da so auf meinem dicken Stein. Ich war jenseits von Zeit und Raum und erst durch das kitzeln der Sonne auf meiner Nase, fand ich wirklich zu mir und ins Jetzt zurück. Fragen über Fragen waren nun in mir. Aber gerade als ich die erste Frage stellen wollte, sah ich, dass ich ganz alleine auf der großen Wiese zurück geblieben war. Die Elfen waren nicht mehr bei mir, die Steine, auf denen sie sassen waren leer und verlassen. Wo immer die Elfen nun auch waren, sie ließen Glaube, Liebe, Hoffnung und Zuversicht in mir zurück.

 

 

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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