Umgang mit Tod und Trauer -

Leben nach dem Verlust eines geliebten Menschen

 

Seitdem meine Homepage besteht, bekomme ich immer wieder viele Mails von verzweifelten Hinterbliebenen, die im Schmerz über den Verlust ihres geliebten Angehörigen, oftmals nicht ein noch aus wissen. Ich kann ihnen ihren Schmerz und die Verzweiflung (leider aus eigener Erfahrung) sehr gut nachfühlen. Und so gut es in meiner Macht steht, „spreche“ ich mit „meinen“ Trauernden. Ich bin Gott sehr dankbar für die Gabe, dass ich mich ihrer Nöte annehmen kann und ihnen sogar in der ersten Zeit vielmals eine Hilfe bin.

Neulich berichtete mir auf diese Weise eine Trauernde in ihrer Mail, dass sie einerseits überhaupt nicht damit klar kommt, dass sie ihren geliebten Mann verloren hat, andererseits findet sie in ihrem familiären Umfeld nur geringes, bis gar kein Verständnis. Sie schrieb, das mache ihr extrem zu schaffen und sie kommt damit einfach nicht klar.

Ihr Mann sei ja auch schon ein halbes Jahr tot und sie bekäme immer noch so schreckliche Weinkrämpfe und sie traut sich nicht mit jemandem darüber zu reden, eben weil ihr Mann schon so lange tot sei. Ich war richtig erschrocken, denn ein halbes Jahr, das ist in der Trauer doch gerade so, als sei es erst gestern gewesen. Alles, was man im ersten Jahr nach dem Verlust des geliebten Partners  zum ersten Mal „alleine“, also ohne den geliebten Partner erlebt, tut ganz besonders weh, weil uns immer wieder bewusst wird, dass der Platz neben uns leer ist.

Die Trauernde schrieb mir weiter in der Mail, dass sie zu einem 60. Geburtstag eingeladen sei. Schon allein, als sie die Einladung in der Hand hielt, bekam sie eine Art Panik und sie hatte sofort das Gefühl, dass sie lieber nicht zu diesem Jubiläum gehen möchte. Es würde sie schmerzen und sie dachte unter Tränen daran, dass sie einige Zeit vor dem Tod ihres Mannes noch gemeinsam mit ihm darüber gesprochen hatte, wie sie zusammen seinen 60.Geburtstag feiern wollten. Leider erlebten sie nun diesen 60.Geburtstag ihres Mannes nicht mehr.

Zunächst einmal möchte ich sagen, dass das Weinen sehr wichtig ist, denn die Gefühle müssen raus und unterdrückt man sie, kommen sie dann irgendwann mit geballter Kraft zum Ausbruch. Trauergefühle müssen ausgelebt werden, mit ihnen „bearbeiten“ und „verarbeiten“ wir unsere Trauer.

„Meinen“ Trauernden sage, bzw. schriebe ich immer wieder, dass sie sich ihrer Tränen nicht schämen dürfen. Unsere Tränen, die wir um unsere geliebten Verstorbenen weinen, sind doch ganz besondere Perlen, die unserem kostbarsten Diamanten hinterher kullern.

Allerdings verwundert es mich jedes Mal aufs Neue (und eigentlich schon seit meinem eigenen schweren Verlust), wie pietätlos unser Umfeld, unsere Mitmenschen, oftmals mit unserer Trauer und somit mit uns Trauernden umgehen.

Mir ist klar, dass wohl niemand aus unserem Umfeld in böser Absicht im Umgang mit uns Trauernden handelt und bestimmt möchte auch niemand Trauernden noch mehr Schmerz zufügen. Aber mir zeigt dieses vielmals ungestüme Verhalten, welches sich in vielen anderen Bereichen und Anlässen im Umgang mit uns Trauernden ähnelt, dass für Trauer einfach kein Raum, kein Platz und nur wenig bis gar kein Verständnis vorhanden ist. Ja, es scheint, als gäbe es nur Platz für eine Spassgesellschaft - doch auch der Tod gehört zum Leben, wie die Nacht zum Tag.

Sicherlich war die besagte Einladung zum Geburtstag, wovon mir eine Trauernde berichtete, einfach nur sehr lieb gemeint, aber dennoch wäre es sicherlich angebrachter gewesen, in einem behutsamen Gespräch mit der Trauernden erst einmal heraus zu finden, wie es dieser Trauernden inzwischen nach ihrem erlittenen Verlust geht und ob sie überhaupt schon wieder bereit ist, in einer lauten und lustigen Spass-Gesellschaft dabei zu sein.

Ich kann dieser Trauernden natürlich nicht zu oder ab raten, aber ich habe ihr dazu geraten, in sich hinein zu hören, ihren Gefühlen grosse Aufmerksamkeit zu schenken und dann zu entscheiden, ob sie zu dieser Geburtstagsfeier geht oder nicht. Sie hatte schwere Gewissenskonflikte, weil sie im Falle, dass sie nicht hingeht, von ihrer Familie unter Druck gesetzt wird.

Meine Güte, wie kalt und herzlos ist die Welt, dachte ich mir im ersten Moment als ich ihre Zeilen las.

Und noch während ich an einer Antwort für die Trauernde, zu dieser Mail schrieb, lief plötzlich ein Film der Erinnerung vor meinem geistigen Auge ab:

Wie war es mir denn selbst ergangen?

Mein Mann war gerade mal 2 Wochen!, also 14 Tage!, tot, an Krebs gestorben...

Es war ein grausamer Tod und ich erlebte am Tag seines Todes den absoluten Höhepunkt einer Hölle. Ich war damals noch völlig traumatisiert von dem zu der Zeit gerade Erlebten. Ja, ich war seinerzeit wirklich noch richtig fest im Schock, was in meinem eigenen Umfeld  allerdings irgendwie gar nicht wirklich wahrgenommen oder realisiert wurde, denn ich stiess vielmals auf grosses Unverständnis, obwohl meine Angehörigen andererseits irgendwie auch bemüht waren, mir zur Seite zu stehen.

Gerade mal 2 Wochen nach dem Tod, 11 Tage nach der Beerdigung bzw. Trauerfeier meines verstorbenen Mannes,  stand die Konfirmation unseres Neffen auf dem Programm. Ich muss dazu sagen, wir hatten eine sehr innige Beziehung zur Familie unseres Neffen und dieser Neffe gehörte zu uns, wie unser eigenes Kind. Die Konfirmation wurde tatsächlich gefeiert und voll durchgezogen, ohne Rücksicht auf den Tod meines Mannes und mich in meiner schweren Trauer.

Natürlich gönnte ich unserem lieben Neffen seine Konfirmation, nichts mehr als das!Es war sein grosser Tag, auf den er sich ganz bestimmt im Vorfeld riesig freute - zumindest in der Zeit, als mein damaliger Mann noch lebte, denn wir alle glaubten diesen besonderen Tag meines Neffen gemeinsam feiern zu können. Nun war mein Mann 2 Wochen vor diesem grossen Event gestorben und ich denke, es wäre nicht nur lieb, sondern vor allem mir gegenüber rücksichtsvoll gewesen, unter all diesen Umständen, die mit dem Tod meines Mannes auf so dramatische Weise über uns alle (also auch der gesamten Familie meines Neffen) hereingebrochen waren, unserem lieben Neffen zu erklären, dass wir eine richtige grosse Feier mit allem Drum und Dran zu einem späteren Zeitpunkt nach holen werden.

Dieser Neffe hat meine Mann sehr geliebt und ich denke, auch für ihn war es eine sehr schmerzhafte Zeit und ob er seine Konfirmation unter diesen Umständen so geniessen konnte, wie wir es uns für ihn gewünscht hätten, wage ich zu bezweifeln. Für unseren Neffen wäre es meines Erachtens auch ein Beispiel guter Erziehung in Punkto Respekt und Anstand in Anbetracht von Tod und Trauer gewesen. Zu diesem Neffen hatten wir, mein Mann und ich wirklich eine ganz, ganz seltene und enge Bindung/Beziehung. Mein verstorbener Mann und dieser Neffe waren in der Tat die „dicksten“ Freunde. Wäre es nicht auch Anstand und Ehre gegenüber meinem geliebten verstorbenen Mann gewesen, vorerst einmal auf die Feier, die gerade mal 14 Tage nach seinem Tod und nur 11 Tage nach der Beerdigung stattfand, zu verzichten? Allein in diesem Fall zeigt es sich m.E. auch, wie ungeschickt, bzw. unwissend in der eigenen Familie mit trauernden Angehörigen umgegangen wird. Meine Geschichte ist eine, wie ich sie in ähnlicher Form von Trauernden immer wieder zu hören bekomme.

Nie wieder möchte ich so etwas, wie die Konfirmation damals, in Anbetracht der schweren vorangegangene Ereignisse erleben müssen! Auch ich fühlte mich meiner Familie gegenüber verpflichtet zu dieser Konfirmation zu gehen, um nicht "böses Blut" zu verursachen, niemanden zu enttäuschen, denn es stand für sie ausser Frage, dass ich dabei war und ich überrumpelte gehorsam meine eigenen Gefühle, es tat so weh. Die Erinnerung daran ist mir noch heute ein schrecklicher Albtraum, den ich zu nebst Krebs und Tod erlebte.

Mit meiner Familie über mein damaliges schmerzliches Empfinden wegen der Konfirmation in meiner tiefsten Trauer zu reden war schier unmöglich, nie hätten sie mich verstanden und mir fehlte die Kraft dazu.

Ich hatte damals ganz einfach zu funktionieren und ich funktionierte ja auch, so lange, bis sich der schwere schwarze Mantel der Traurigkeit allmählich öffnete und ich wieder etwas klarer denken und sehen konnte. Da begann ich MEINEN Weg zu gehen. Ich hätte meine Familie gerne mitgenommen auf meinem Weg und teilhaben lassen an meiner "Auferstehung", doch nun verletzte ich sie plötzlich in ihrer Trauer, die Trauer um meinen Mann, die nun sehr wichtig für sie war.

Durch meine Psychologin, die mir wirklich eine einmalige und richtig klasse Unterstützung war, ebenso auch meine Trauerbegleiterinnen, durch sie alle lernte ich, nur noch auf mich, bzw. MEINE Gefühle zu hören und nur MEINEN Weg weiter zu gehen, Es war ein schwerer Weg für mich, voller Schmerz und Tränen, der ohnehin meine ganze Kraft brauchte und einer der schwersten Wege meines Lebens wurde. Ich lernte auf meinem steinigen Weg auch, dass mich die Menschen um mich herum zwar hören, aber nicht wirklich verstehen. Wie auch? Sie hatten nicht annähernd das verloren, was ich verloren habe. Vermutlich werden auch sie eines Tages alles etwas anders sehen. Und vielleicht, vielleicht begreifen sie dann im nachhinein ein wenig von dem, was sich mit und in mir abspielte, nachdem ich das Liebste, was ich auf Erden hatte, verloren hatte. Eines Tages, werden sie vielleicht begreifen, wie es mir damals wirklich ging, dann, wenn sie sich selbst von dem liebsten Menschen an ihrer Seite verabschieden müssen, weil sie ihn für immer verlieren werden. Dieser schwere Verlust ereilt leider alle Menschen, früher oder später, egal ob Bettler oder König, niemand kann sich diesem schweren Weg entziehen.

Allen Trauernden gilt mein aufrichtiges Mitgefühl, ich wünsche Ihnen Mut und Kraft auf Ihrem Weg aus der Trauer, vor allem wünsche ich Ihnen mitfühlende Menschen zur Seite, die Ihnen mit grösstem Verständnis begegnen.

Mögen sich die nachfolgenden Zeilen von Marie-Luise Wölfing für Sie erfüllen:

 

Der Segen der Trauernden...

 

Gesegnet seien alle,

die mir jetzt nicht ausweichen.

Dankbar bin ich für jeden, 

der mir zulächelt und mir seine Hand reicht,

wenn ich mich verlassen fühle.

Gesegnet seien die,

die mich immer noch besuchen,

obwohl sie Angst haben, etwas Falsches zu sagen.

Gesegnet seien alle,

die mir erlauben von dem Verstorbenen zu sprechen.

Ich möchte meine Erinnerungen  nicht totschweigen.

Ich suche Menschen,

denen ich mitteilen kann, was mich bewegt.

Gesegnet seien alle, 

die mir zuhören, auch wenn das,

was ich zu sagen habe, sehr schwer zu ertragen ist.

Gesegnet seien alle,

die mich nicht ändern wollen,

sondern geduldig annehmen, wie ich jetzt bin.

Gesegnet seien alle,

die mich trösten und mir zusichern,

dass Gott mich nicht verlassen hat. 

(v.Marie-Luise Wölfing)

 

In diesem Sinne,

herzlichst Nati Merlin

 

 

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