Steter Tropfen höhlt den Stein.....

           

Dies ist eine Geschichte aus meiner Kindheit, ich war damals wohl so knapp 6 Jahre alt und ging noch nicht zur Schule.....also noch ein kleines „Merlinchen“.

 

Wir lebten, wie es früher allgemein üblich, mit unserer Großmutter gemeinsam in der Familie.

Sie war für uns Kinder, wie es wohl bei allen Kindern so ist, die beste und liebste Oma der Welt.

Ach, wie schön waren die Momente, wenn ich zu ihr aufs Kanapee kroch, sie ihren Arm um mich legte und mich dabei fest an sich drückte um mir die wunderschönsten Geschichten zu erzählen. Sie konnte so spannende Geschichten erzählen und wir alle lernten sehr viel von ihr.

Manchmal ging es recht lustig bei und mit ihr zu und fast alles, was sie uns beibrachte, war mit Sprichwörtern gespickt.

So ungefähr wie:"... gut Ding hat Weil - Langes Fädchen, faules Mädchen....Reden ist Silber, schweigen ist Gold..." und allerlei Sprichwörter mehr. Geweckt wurden wir immer mit."Hopp, Hopp, raus aus den Federn, Morgenstund hat Gold im Mund..." (später fügte ich mit einem Lachen hinzu: "...länger schlafen ist auch gesund...") Als Kind begreift man aber nicht unbedingt alle Sprichwörter, weil man den tieferen Sinn noch nicht versteht, die diese Aussagen beinhalten.So war es auch mit dem Sprichwort: " Steter Tropfen höhlt den Stein.."Als ich Oma, fragte, was das bedeutet, sagte sie nur knapp:" Ach Kind, wenn immerzu Wasser auf einen Stein tropft, gibt’s ein Loch..." Sie hatte damals einen sehr betrübten Tag, weil ihre Schwester schwer krank war. So gab ich mich mit ihrer kurzen Antwort zufrieden, traute mich nicht, noch einmal nach zu fragen, obwohl ich nicht so ganz verstandfen hatte, wie das gemeint war. Ein Loch im Stein, vom Tropfen, dass konnte dann ja nur Wassertropfen sein? Meine Güte, dachte ich, konnte Wasser echt so stark sein und ein richtiges Loch in einen Stein machen...? Wo Steine aber doch so verdammt hart sind - und Wasser so weich ist...?

 

Tagelang grübelte ich drüber rum.....Hm, steter Tropfen höhlt den Stein, ging es mir immer wieder mal durch den Kopf! Aber warum hatte ich noch nie einen Stein mit einem Loch gesehen? Gab es denn wirklich Steine mit einem Loch drin? Es musste sie doch irgendwo geben, wenn ein Tropfen ihn höhlt. Steine waren damals schon längst  meine große Leidenschaft und es gab oftmals Streit zu Hause, weil ich sie überall umherliegen ließ. Jeder besondere Stein, den ich irgendwo fand, war doch aber etwas ganz Wertvolles für mich! Das blieb in meinem späteren Leben leider auch so, bis in die heutige Zeit. Bei meinem Umzug musste ich Kistenweise Steine entsorgen. Steine üben irgendeine Magie auf mich aus, ich kann ihnen fast nie wiederstehen.

Die Phantasie in meiner Kindheit war grenzenlos und machte meine Steine zu kostbaren Schätzen. Einige dieser Steine waren meine Zaubersteine, andere nannte ich Wunschsteine und wieder andere waren meine Diamanten. Es gab auch Kraftsteine in meiner Sammlung. Aber einen Stein mit einem Loch...???  Nein, den hatte ich noch nie gesehen - jedenfalls damals, als Kind nicht und so einen Stein musste ich nun unbedingt haben!

Nur wo waren solche Steine zu finden und wo gab es „steter“  Tropfen. Was meinte Oma wohl mit „steter“? War „steter“ etwa, wenn es so kräftig regnet?  Oder sind "steter Tropfen" vielleicht sogar besondere Tropfen? Mir kam plötzlich der Bach mitten in unserem Dorf in den Sinn. Dort plätscherte das Wasser immerzu über allerlei Steine und wenn ich ganz nah am Bach stand, sprangen einige Tropfen sogar zu mir ans Bein, das war immer sehr lustig. Leider durfte ich nicht mehr zum Bach, mein Papa hatte es mir strengstens verboten. Es sei zu gefährlich meinte er immer. Meine Cousine war im jungen Kindesalter in einem harmlosen, flachen Bach ertrunken und das war und sollte uns von zu Hause her Warnung genug sein. Jetzt halfen keine Warnungen und kein Verbot mehr. Ich MUSSTE irgendwie zum Bach hinunter, ich würde auch sehr gut auf mich achtgeben, damit nichts passiert. Nichts konnte mich von meinen Gedanken abbringen, ich musste unbedingt zum Bach.....aber wie? Irgendwie musste ich eine Möglichkeit finden! Ich wollte doch sehen, ob es dort Steine mit Löchern hat. Ach, wenn ich doch nur einen einzigen Stein mit Loch hätte – das war mein größter Wunsch.

 

Die Gelegenheit dort hinzukommen bekam ich schneller als ich dachte. Noch am gleichen Spätnachmittag fragte mein Vater, wer freiwillig die Milch holt. Wir gingen immer zum Bauern ins Dorf und holten die frische Milch, wenn die Kühe spät nachmittags von der Weide geholt waren und gemolken wurden. Schnell erklärte ich mich für diesen Weg bereit und mein Papa war so erfreut, dass ich  bereitwillig Milch holen wollte. Oh je, er ahnte ja nicht…

Meine Güte, war das aufregend für mich! ICH durfte die Milch holen und mein größtes Glück lag ja vor allem darin, dass der Bach meinen Weg kreuzte. Es gab keinen anderen Weg zum Bauernhof, ich musste über die kleine Brücke, um über den Bach zu kommen. Das war meine Chance!!! Ich hatte es nun sehr eilig los zu kommen, um die Milch zu holen, konnte die Milchkanne nicht schnell genug aus dem Schrank bekommen und rannte los, als sei der Teufel persönlich hinter mir her. Immerhin musste ich irgendwie Zeit genug für den Bach rausholen. Ach du liebes bisschen... beim Bauern angekommen bemerkte ich, dass ich den Deckel der Milchkanne zu Hause vergessen hatte, das war echt ein bisschen dumm. Na ja, dachte ich so bei mir, dann muss ich halt gut aufpassen, dass kein Staub und keine Fliegen in die Milch kommen, sonst würde es zu Hause mächtig Ärger geben. Aber, das sollte das kleinere Übel sein.

Natürlich holte ich als erstes die Milch, bevor es zum Bach hinunter ging, denn Oma sagte ja immer, das Unangenehme zuerst, dann ist die Freude auf das Angenehme (das Schöne) hinterher umso größer und meine Freude, das Angenehme, sollten ja die Steine mit Loch sein. Auf dem Rückweg vom Bauernhof, wieder an der kleinen Brücke angekommen, stellte ich zuerst einmal die Milchkanne vorsichtig beiseite, denn die Gefahr von der guten Milch etwas zu verschütten, war einfach zu groß, wo die Kanne ohne Deckel war. Ich lehnte mich über das Brückengeländer und starrte ins plätschernde Wasser. Oh, ich kam aus dem Staunen nicht mehr raus und traute meinen Augen nicht, wie viele Steine es dort im Wasser hatte!!!...... Millionen… nein, es mussten Abermillionen oder sogar Trillionen  von Steinen sein - nach meiner kindlichen Auffassung! Ich versuchte jeden einzeklnen Stein mit meinen Augen zu  fixieren und so aus der Distanz genauestens auf eibn Loch hin zu untersuchen. Aber es war dort nicht ein einziger Stein mit einem Loch zu sehen! Egal wie lange ich hinunter ins Wasser schaute. Ich fand keinen Stein mit einem Loch! Vielleicht konnte ich sie aber so aus der Ferne nur nicht richtig erkennen, begann ich zu überlegen. Ich ließ meine Gedanken mit dem Wasser treiben und versank mehr und mehr in meiner Welt der Faszination, Träumerei und mein Wunsch, einen Stein mit Loch zu finden wurde wie ein Zwang. Ich musste so einen Stein finden – egal wie! Was zu tun war, besser gesagt, die einzige Möglichkeit, die ich hatte, muss ich hier sicherlich nicht lange erklären. Nein, Angst hatte ich nicht, die Sehnsucht nach solch einem besonderen Stein, stellte alles andere in den Schatten. Die Böschung ging gar nicht so steil hinunter, wie es von oben aussah...... und außerdem, wenn man vorsichtig auf den Hosenboden hinunter rutschte, wäre der Weg nach unten sicherlich gar nicht so schlimm, dachte ich zu guterletzt.

 

Und in der Tat, nach unten zu kommen war leichter als ich dachte, eine schnelle Schlitterpartie, auf dem Hosenboden über den kleinen matschigen Trampelpfad hinunter, ein kurzes "Autsch"  und ich stand mit beiden Beinen plötzlich mitten im Bach. Es ging alles sehr viel schneller als ich dachte. Nun stand ich in einem Meer der wunderschönsten Steine. Ich wusste, so etwas hatte die ganze Welt noch nicht gesehen. Hier musste einst einmal ein Schatz vergraben worden sein. Ich war vom Glück gesegnet, denn ich war fest überzeugt, in jenem Moment den Schatz gefunden zu haben.Es dauerte nicht lange und meine Schürzentaschen waren voll gesteckt mit den allerschönsten Steinen der Welt. Der Schatz war so riesig, dass die Taschen nicht mal ausreichten. Doch ich wurde traurig und ich war richtig enttäuscht, denn unter all diesen vielen bunten Steinen war nicht ein einziger Stein mit Loch und das obwohl so viel Wasser mit den Steinen spielte. Und ich wusste, ich glaubte, das dieses Spielen und Plätschern des Wassers, dieses  "steter" war.

Plötzlich durchdrang das Läuten der Abendglocken all mein Tun und Handeln im Bach! Oh Schreck, so spät schon, dachte ich völlig erschrocken.  Ich hatte wieder Zeit und Raum vergessen, in meiner Träumerei, in meiner Welt, dort unten in meiner vermeindlichen Schatzkammer. Nun war allergröste Eile geboten, um nach Hause zu kommen. Wir hatten immer pünktlich zu Hause zu sein und das hieß, vor dem Glockenläuten!!! Husch, husch, so schnell es nur irgendwie ging, krabbelte ich die Böschung hinauf und so schnell ich rennen konnte lief ich  nach Hause. Mein Vater empfing mich in der Küchentür. Er sah mich erschrocken an:" Sag mal, wie siehst du denn aus? Was ist denn mit Dir, mit deinen Strümpfen und vor allem mit deinen Schuhen passiert...?  Was hast du nur wieder angestellt? Wo warst du überhaupt so lange, wir haben uns so um dich gesorgt? Und überhaupt, wo ist denn die Milch?“

Wie ein Blitzschlag traf es mich..., oh, nein......die Milch! Ich hatte sie in meiner Eile ganz und gar vergessen. Sie stand ja noch auf der Brücke, dachte ich voller Schrecken.

Ohne meinem Vater auch nur ein einziges Wort zu erwidern, drehte ich mich um und rief nur noch kurz im Weglaufen:"...bin gleich wieder da..." Oh je, oh je, wenn das man gut geht, war mein einziger Gedanke und meine ganze Sorge. Das bedeutete jetzt aber etwas mehr als nur ein bisschen Ärger. Mir blieb nichts anderes übrig, ich musste versuchen zu retten, was noch zu retten ist!

Meine weißen Kniestrümpfe waren voller Schlammbrocken und die Lederschuhe ebenfalls total verdreckt und obendrein vom Wasser aufgeweicht. Hauptsache war nun, dass nichts mit der Milch passiert war. Wie sollte ich bloss aus diesem Dilemma rauskommen? Ich war so verzweifelt und rannte wie um mein Leben, in der Hoffnung, dass mir wenigstens nicht auch noch jemand zu allem Übel die Milch genommen oder umgestoßen hatte. Es musste irgendein Wunder geschehen. Leider konnte ich nicht zaubern, dass hatte ich bei anderen Gelegenheiten schon oft genug vergeblich versucht. Oma, sie viel mir ein, sie war meine Rettung! Oma konnte alles! Sie muss mir helfen, dachte ich. Bitte lieber Gott, mach das Oma hilft.....bitte...bin so in Not......sie hat auch ein kleines bisschen Schuld, dass ich jetzt in der Klenmme stecke, sie hat das ja mit den Steinen und steter gesagt!!!

 

Bei der Brücke angekommen, traute ich meinen Augen nicht! Ein Schreck jagte nun wirklich den anderen.....es war Teufelswerk, was hier geschah, was meine Augen sehen mussten. Der blöde Dorfdackel Waldi hing mit dem Kopf in MEINER Milchkanne und schlabberte unsere Milch. Oh je, Oh je, ....das nicht auch noch...unsere schöne Milch..., mir wurde fast schlecht in meiner Not. Was sollte ich nur zu Hause sagen…Ich schrie aus Leibeskräften:" WALDI !!!!!!!...PFUI......!!!!! WALDI....!!!!! AUS!!!!!" Ich nahm einen meiner gefundenen Schatzsteine aus der Schürzentasche und warf diesen mit aller Kraft und Erfolg in Richtung  Hund. Tiere waren eigentlich mein ein und alles, aber ich konnte jetzt nicht noch mehr Stress zu Hause bekommen. Ich musste die Milch retten, koste es was es wolle, armer Hund hin oder her. Als ich die Kanne aus der Nähe sah, wurde mir noch viel schlechter, denn es fehlte schon ein erheblicher Teil der Milch...Was sollte ich jetzt machen...? Wir brauchten jeden Abend die volle Kanne Milch für uns alle, wir waren doch eine so große Familie – und ich war schuld, das etwas fehlte! Der Bach...... durchschoss es meine Gedanken.....das Wasser...

Nicht lange überlegt, gedacht, getan!!!  Noch einmal stiefelte ich die Böschung hinunter, ging ins Wasser, drückte die Milchkanne in den Schlamm am Rande des Bachlaufes, damit sie feststecken blieb und nicht auch noch umfiel und schöpfte mit den Händen das klare saubere Wasser in die Milchkanne, um den Verlust zu ergänzen - und ich stellte fest, soviel Milch fehlte ja denn doch nicht.

Zu Hause angekommen, fragte mich mein Vater - nun inzwischen ziemlich wütend geworden,was ich denn jetzt auch noch mit der Milchkanne angestellt hätte, daraus könne man ja nichts mehr gebrauchen, so wie die Kanne aussieht. Hm, so sah ich die Sache nun aber gar nicht!  Schliesslich war der schmutz doch wirklich nur äusserlich. Und voller Stolz und völlig unbefangen erzählte ich ihm meine ganze Geschichte. Immerhin hatte ich diesen Hund vertrieben, das war ja wohl verdammt mutig von mir und dann erst noch die gute Idee mit dem Wasser, damit die Milch wieder für uns alle reicht!  Na ja, die Begeisterung lag allerdings einzig auf meiner Seite. Die „gute“ Milch war schneller als ich gucken konnte in den Abfluss geschüttet, die Milchkanne in den Mülleimer geworfen, naja, und zu meiner Bestrafung mag ich nichts mehr sagen, nur so viel, ganz so heftig war sie denn auch nicht, mein Vaterv konnte uns nie so recht böse sein. Allerdings… ich durfte nie wieder die Milch holen.

 

Und wenn ihr überlegt, warum ich meinem Vater die ganze Wahrheit erzählt habe...?

Bei uns zu Hause wurde nicht gelogen. Wir begriffen wirklich sehr früh, dass Lügen eine der hässlichsten und gemeinsten Sache der Welt ist. Und wie sagte Oma immer: "Ehrlich währt am längsten und Lügen haben kurze Beine.....wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er stets die Wahrheit spricht und überhaupt, der liebe Gott sieht alles!"

Genau diese Sprichworte hat sie uns bis ins kleinste Detail erklärt und immer wieder mit uns darüber gesprochen. Ich habe es mir immer sehr zu Herzen genommen, was sie uns sagte und bis heute bringe ich es nicht fertig, bewusst zu lügen.Lügen machen mir wirklich Angst.

Ehrlichkeit ist mein höchstes Gut geblieben, darauf bin ich sehr stolz.

 

In diesem Sinne

herzlichst

Merlin

 

 

 

 

 

 

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