Trauer, Weihnachtszeit und Erinnerung...

Früher schrieb ich jedes Jahr zur Weihnachtszeit eine kleine Weihnachtsgeschichte. Vielmals verschenkte ich sie in der Familie, schickte sie an Freunde und Bekannte mit den Weihnachtskarten, oder ich las sie bei Weihnachtsfeiern vor. Es war wirklich eine schöne Zeit, damals, mit meinen Weihnachtsgeschichten. Mit grosser Freude genoss ich es, wenn meine Zuhörer, diesen Geschichten gebannt und Mucks Mäuschen still zuhörten. Und es berührte zutiefst mein Herz, wenn dann mein verstorbener geliebter Mann hinterher zu mir kam und sagte: “Hast du die Leute gesehen… manche hatten sogar Tränen in den Augen und sie waren so mitgerissen, so still, man hätte hören können, wie eine Stecknadel zu Boden fällt. Es war ja auch wirklich eine schöne Geschichte, so schön Nati!“ Ich wusste, dass er mein grösster Bewunderer war. Ihn so vor mir zu sehen, berührte stets mein Herz und ich sah dann immer ein besonderes Leuchten in seinen Augen. Seine Liebe zu mir und der damit verbundene Stolz auf mich, bleiben für immer tief in meinem Herzen der dankbaren Erinnerung. Und gerade jetzt in der Weihnachtszeit gehört diese Begebenheit nun zu meinen ganz besonderen Erinnerungen. Es sind diese Erinnerungen an Weihnachten wie es früher war.

 

 

Die Weihnachtszeit ist für mich, nun nach all den Jahren der Trauer, wieder sehr schön geworden. Natürlich ist alles ganz anders, als es früher einmal war, aber dennoch wirklich schön. Ich hatte in diesem Jahr zum ersten Mal wieder richtige Freude mit unserer Weihnachtsdekoration. Lange Jahre hatte ich damit nichts "am Hut", denn die Trauer schmerzte alles noch einmal mehr und ganz besonders in der Weihnachtszeit. Doch dieses Jahr habe ich mich an die Weihnachtsdekoration getraut, es war nicht so schlimm mit dem Trauerschmerz, wie in all den Jahren zuvor und mein geliebter Mann (ich habe ja inzwischen wieder geheiratet) und ich haben uns dieses Jahr eine wirklich gemütliche Weihnachtsatmosphäre geschaffen. Natürlich ist Weihnachten total anders, als ich es früher erlebte, aber auch für meinen jetzigen Mann ist alles anders geworden, als wie er es mit seiner Frau und den Kindern erlebte. Doch ich denke, genau das ist vielleicht auch gut so in unserer beider Trauer, denn ein für uns einst überaus wichtiges und bedeutungsvolles Leben, ist für immer ausgelöscht und deshalb ist nichts mehr wie es einmal war. Mein jetziger Mann und ich sind damals nach dem Tod unserer geliebten Partner mit gebrochenem Herzen zurückgeblieben, aber nach all den schweren Jahren der Trauer, haben wir uns inzwischen liebevoll ein neues Leben aufgebaut – unser eigenes „neues Leben“. Wir sind aus der Trauer aufgestanden, haben unseren Weg gefunden und wir lernten, dass das Leben wieder schön sein kann, wenn auch ganz anders, aber es ist tatsächlich wieder schön und jeder einzelne Tag ist wieder lebenswert geworden.

Deshalb dachte ich mir, nun sollte es auch an der Zeit sein, dass ich endlich mal wieder eine Weihnachtsgeschichte schreibe, für euch, für mich und für all unsere Lieben, die nun nicht mehr bei uns sind und trotzdem immer irgendwie und irgendwo aus ihrer Welt zu uns herunterschauen und uns, wie ich denke, insbesondere auch in diesen emotionalen Weihnachtstagen, auf unseren Weg begleiten.

 

Weihnachten ist für uns alle immer mit vielen Erinnerungen verbunden...

Ich erinnere mich in diesen Tagen auch noch viel weiter zurück, nämlich an meine Kindheit. Als Kinder sassen wir insbesondere in der Weihnachtszeit häufig und sehr gerne bei meiner Grossmutter. Im Kerzenschein lauschten wir andächtig und gebannt ihren wunderschönen Geschichten. Grossmutter konnte ihre Geschichten so lebendig erzählen, dass wir Kinder oftmals das Gefühl hatten, diese Geschichten richtig mitzuerleben. In Anlehnung an einer ihrer Geschichten, die sie uns damals erzählt hat, habe ich hier nun meine eigene Geschichte zur Weihnachtszeit niedergeschrieben, so wie früher:

 

 

In der Heiligen Nacht, als Gott zu Besuch kam -

(eine Weihnachtsgeschichte, die uns allen jeden Tag widerfahren kann…)

Der Winter hatte längst sein weisses Kleid über das weite Tal ausgebreitet. Klirrende Kälte liess Seen und Flüsse zu einer frostigen Spiegelplatte gefrieren, auf denen die Kinder mit fröhlichem Gejohle ihre Eislaufkünste zum Besten gaben. Aus den Schornsteinen der weihnachtlich geschmückten Häuser zog dicker Rauch himmelwärts und überall in den Fenstern leuchteten Kerzen und glitzerten Sterne, die die Kinder voller Vorfreude auf das Weihnachtsfest gebastelt haben. Oh ja, es war auch die Zeit der Stille, wo man gemütlich bei Kerzenschein im Wohnzimmer sass und seine Seele einfach mal baumeln lassen konnte. Wie wohlig war doch die Wärme daheim am Kamin, nach getaner Arbeit, bei einem guten Glas Tee und den leckeren Weihnachtsplätzchen. Man spürte es überall, jeden Tag weihnachtete es ein bisschen mehr. Alles duftete so herrlich nach Lebkuchen und Plätzchen, nach Mandeln, Apfelsinen, Zimt, Kardamom und all diesen herrlichen Gewürzen.

Abends hatte man in dieser andächtigen und anmutigen Zeit immer das Gefühl, als würden sogar die Sterne in der Weihnachtszeit so ganz besonders hell leuchten. Die Schneelandschaft bei Nacht unter diesem hellen Sternhimmel verzauberte Mensch und Tier in der Weihnachtszeit einmal mehr. Es geschahen in dieser Zeit vielmals unerklärliche Dinge, als hätten Engel oder gar der Allmächtige selbst, seine Hände im Spiel.

So geschah in unserer unmittelbaren Nachbarschaft eine mich immer wieder nachdenklich stimmende Geschichte:

Meine Mutter machte, an einem späten Abend in jener Weihnachtszeit noch einen Besuch bei unserer alten Nachbarin, die seit Jahren allein in einem riesengrossen alten Gutshaus am Ortsrand lebte. Irgendwie mieden die Bewohner unseres kleinen Dörfchens diese alte Frau, denn sie schien seltsam und oft mürrisch, obwohl ihr Fähigkeiten nachgesagt wurden, die nicht von dieser Welt sein konnten. Bösartige Zungen scholten sie gar eine Hexe oder zumindest Zauberin. Aber in Wirklichkeit war dieses Gerede nichts als dummes Geschwätz.

Meine Mutter liess sich jedenfalls nicht vom Gerede der Dorfbewohner beeinflussen. Sie wusste um die Einsamkeit der alten Dame, deshalb leistete sie ihr hin und wieder Gesellschaft und hörte den Geschichten der Alten zu. Tante Amalia (so nannten wir diese Gutsherrin von und zu... inzwischen liebevoll), gab meiner Mutter oftmals ein paar leckere Kleinigkeiten, die sie aus den Beeren ihres grossen Gartens zubereitete, für uns Kinder mit. Und manchmal brachte Mutter sogar die eine oder andere Geschichte von „Tante Amalia“ mit nach Hause. Voller Spannung sassen wir Kinder dann um unsere Mutter herum und lauschten mit grossen Augen, roten Ohren und offenen Mündern  welche Geschichte Tante Amalia durch meine Mutter zu uns schickte.

Eines Abends mahnte uns meine Mutter, bei der folgenden Geschichte ganz besonders gut aufzupassen, damit uns nicht das Gleiche passiert, wie es Tante Amalia geschehen ist. Sogleich erzählte meine Mutter…

Tante Amalia hatte vor vielen Jahren in der Nacht vorm Heiligen Abend einen merkwürdigen Traum. In diesem Traum erschien ihr Gott wie eine Silhouette in einem goldenen hellen Licht. So ein wundervolles Licht hatte Tante Amalia zuvor noch nie gesehen und erst recht nicht erlebt. Dieses Licht erfüllte sie mit einer wohligen Wärme, welche all ihre unmutigen Gefühle von ihr nahm. Selbst das schreckliche Gefühl der Einsamkeit schien sich völlig aufgelöst zu haben.

Plötzlich erhob sich klar und deutlich eine Stimme aus diesem strahlenden Lichterschein: „ Du fühlst dich einsam und allein? Das wird sich ändern, mein Kind, denn ich werde dich besuchen. Ich bin der Herr, dein Gott, und schon bald komme ich als Gast zu dir.“

Tante Amalia konnte gar nicht reagieren, sie war wie erstarrt und sah erstaunt wie das Licht auf einmal immer kleiner wurde. Noch während sie diesem Licht nach sah, erwachte sie schweissgebadet aus ihrem Traum. Der Traum hatte sie sehr aufgewühlt, denn er fühlte sich so unglaublich und doch sehr echt an. Sollte es wirklich möglich sein, das Gott ihr im Traum erschienen war? Na ja, sie würde sich in jedem Fall für den Fall der Fälle vorbereiten. Wer weiss denn schon, was so alles geschieht?

Noch am gleichen Morgen begann sie ihr Haus gründlich aufzuräumen und zu reinigen. Klirrende Kälte drang durch die geöffnete Haustür herein, derweil sie die Tür von aussen polierte. Sollte Gott sie tatsächlich besuchen, so sollte ER schon an der Haustür einen guten Eindruck von ihr bekommen. Nach getaner Arbeit war die Tür gerade ins Schloss gefallen, als jemand mit dem grossen eisernen Ring an die alte Holztür klopfte. Erwartungsvoll und aufgeregt öffnete Tante Amalia die Tür. Aber es war nicht Gott, der vor ihr stand, sondern nur irgendein in alten, schmutzigen Lumpen gekleideter, kränklich wirkender, alter Mann. „Was willst du?“ herrschte sie ihn an. „Mir ist kalt, darf ich einen Moment reinkommen?“ fragte der Alte beschämt und mit gesengtem Kopf. „Ach, ich kann so einen Schmutzfink wie dich nicht in mein Haus  lassen, gerade habe ich alles geputzt, ich erwarte hohen Besuch!“ Mit diesen Worten schlug sie dem Alten die Tür vor der Nase zu.

Am Nachmittag sass sie gerade mit einer guten Tasse Tee am warmen Kamin, als es erneut, diesmal ganz zaghaft, an der Haustür klopfte. Das wird ER sein, dachte sich Tante Amalia und lief so schnell wie es ihre müden Beine erlaubten zur Tür. Doch auch dieses Mal sahen ihre Augen nicht das, was sie erwartete. Zwei kleine Kinder standen stattdessen in Tränen aufgelöst vor ihr: „Kannst du uns nach Hause bringen? Wir haben uns verlaufen und finden den Weg nach Hause nicht mehr, bitte hilf uns!“ bettelten die Kinder mit tränenerstickter Stimme. „Oh, ihr dummes naseweises Pack! Warum seid ihr denn überhaupt von Zuhause fortgegangen? Geht die Strasse hinunter, dort kommt ihr ins Dorf, da wird man euch weiterhelfen, ich habe jetzt keine Zeit, ich erwarte Besuch!“ Voller Enttäuschung und mit einem kräftigen Schlag liess sie die Haustür wieder ins Schloss fallen.

Inzwischen war es bereits Abend geworden. Tante Amalia sass noch immer am Kamin und sinnierte gerade noch einmal über den Traum der vergangenen Nacht. War es tatsächlich nur ein Traum und weiter nichts? Da, was war das? Hatte es nicht gerade wieder an der Haustür geklopft? Einen Moment lang lauschte sie angespannt ob sich dort an der Haustür etwas regte. Doch alles blieb still, nur das Knistern und Knacken der dicken Holzscheite im Kamin begleitete sie in der allabendlichen Stille und Einsamkeit.

Ach, wie schön wäre es gewesen, wenn Gott sie wirklich besucht hätte, dachte sie gerade, als es nun unüberhörbar an der Haustür pochte. Voller Freude und erstaunt über sich selbst und darüber, wie schnell ihre Beine sie nun zur Tür gebracht hatten, öffnete sie diese. Ein altes Mütterchen mit gebeugtem Rücken und runzligem Gesicht stand da draussen in der sternenklaren Nacht vor ihr. „Bitte verzeiht mir, dass ich zu so später Stunde bei euch anklopfe, aber ich irre seit Stunden in der Kälte umher, ich bin hungrig und ich suche ein kleines Plätzchen in irgendeiner warmen Ecke. Bitte, habt Gnade, nur für eine Nacht!“ Mit zittriger Stimme und flehendem Bick schaute die Alte zu Tante Amalia hinauf.

„Wo sollte ich euch unterbringen? Ich habe für euch keinen Platz im Haus! Geht doch ins Dorf zum Pfarrhaus, dort werdet ihr sicherlich Unterschlupf bekommen, bei mir jedenfalls nicht, ich erwarte göttlichen  Besuch!“ Noch bevor die Alte an der Haustür etwas entgegnen konnte, wurde auch ihr die Tür mit voller Kraft vor der Nase zugeschlagen.

Tante Amalia war nun völlig enttäuscht und wirklich sehr verärgert. Immer dieses dahergelaufene Gesindel, dachte sie erzürnt. Schade, dass Gott sein Versprechen nicht eingelöst hatte, IHN hätte sie liebend gern bei sich aufgenommen. Vielleicht würde ER morgen zu ihr kommen. Ja, morgen ganz bestimmt, denn morgen war Heilig Abend!

Tante Amalia fiel in einen unruhigen Schlaf. Sie träumte einen schrecklichen Traum, in dem sie nichts als eisige Kälte fühlte, ihr Magen vor Hunger krampfte und sie suchte immer wieder, in tiefer Dunkelheit umherirrend, nach einem Schlafplatz. Plötzlich erstrahlte wieder dieses helle Licht, welches diese seltsame Silhouette in sich trug, genauso, wie sie es in der Nacht zuvor schon einmal erlebt hatte. Oh, jetzt war Gott da! Endlich! Doch warum kam er erst jetzt, mitten in der Nacht, in ihrem Traum. War das der Besuch, den er ihr abstatten wollte?

Gott schaute kopfschüttelnd und schweigend auf sie herunter. Seltsamer Weise sah sie zwar das helle Licht, doch sie spürte dieses Mal gar nicht mehr die Wärme wie im Traum der vergangenen Nacht. Sie harrte der Dinge, die da wohl kommen würden, doch nichts dergleichen geschah. Nun fasste sie all ihren Mut zusammen und wagemutig traute sie sich Gott anzusprechen. Sie fragte IHN, warum Er sie nicht bei Tage in ihrem Haus besucht hätte, so wie ER es ihr doch versprochen hatte. Sie klagte, dass sie alles für IHN hergerichtet und so sehr auf Ihn gewartet hätte. „Ja, mein Kind, ich war bei dir, drei Mal sogar und nicht ein einziges Mal hast du mich empfangen. Du hast mich in meiner Not sogar der Türe verwiesen und hilflos in der Kälte stehen gelassen“

Tante Amalia wäre am liebsten im Boden versunken, als sie mit grossem Beschämen erkannte, was sie mit ihrem Verhalten gegenüber den Armen an ihrer Haustür angerichtet hatte. Sie wusste, dass es für ihr Verhalten nicht die geringste Entschuldigung gab. „Gott, mein Herr, bitte verzeih mir“, stammelte sie äusserst beschämt und ziemlich kleinlaut, „ich werde es wieder gut machen. Meine Tür wird ab sofort zu jeder Zeit für dich offen sein, egal in welcher Gestallt auch immer du mich aufsuchst.“

Tante Amalia erwachte sehr traurig über sich selbst aus diesem Traum. Doch dann hatte sie eine Idee. So schnell sie konnte ging sie zum Marktpatz, dorthin, wo sich immer irgendwelche armseligen Menschen aufhielten. Sie lud sie zu sich nach Hause ein, kochte, backte und tat alles, um diesen armen Menschen ein gemütliches Heim zu bieten. Liebevoll bereitete sie ihnen den schönsten Heilig Abend, den sie seit Jahren erleben durften.

Überhaupt, seit jener Nacht, als Gott ihr zum zweiten Mal im Traum erschienen war, war Tante Amalia nie mehr einsam und allein – und das übers ganze Jahr, nicht nur in der Weihnachtszeit. Gott kam jetzt öfter mal zu Besuch bei ihr vorbei, zwar immer wieder in einer anderen Menschengestalt, aber ER war bei ihr, in all diesen menschlichen Gestalten. Und wenn sie sich nicht irrte, schlupfte er sogar so dann und wann in das eine oder andere Kätzchen oder Hündchen, dass sich immer mal wieder für eine kurze Zeit bei ihr aufhielt und wohlfühlte.

Nach dem meine Mutter uns diese Geschichte erzählt hatte, konnte ich noch lange nicht einschlafen. Aber ich verstand nun diesen Satz, als mein Papa uns aus der Bibel eine Geschichte über Jesu vorgelesen hat, wo ER sagte: „Was ihr einem meiner geringsten Brüder unter euch getan habt, das habt ihr mir getan!“

 

In diesem Sinne,

herzlichst Nati Merlin

 

 

 

 

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