Federn meines Schutzengels Teil 2
 
Als der Herbst ins Land zog, musste ich mich nach dem Tod meines Mannes dazu entschliessen, unseren 750 qm grossen Garten aufzugeben. Für mich allein war es einfach viel zu schwer, ihn zu bewirtschaften und stets in einem gepflegten Zustand zu halten. Nicht nur die Arbeiten an der Laube waren für mich beinahe unmöglich, sondern auch die Bewirtschaftung der grossen Ackerfläche, so wie der Baum- und Buschbeschnitt etc., wobei die grosse Rasenfläche mit allen Blumenbeeten rings herum noch das kleinere Übel gewesen wäre. Wer einen Garten hat, weiss, wieviel Arbeit damit verbunden ist.
Nach dem Tod meines Mannes, noch am Tag der Trauerfeier, boten sich viele Freunde an, mir bei den anfallenden Gartenarbeiten zu helfen. Doch wie in vielen anderen Bereichen auch, bleibt und blieb es bei diesen Versprechungen. Obschon ich ziemlich enttäuscht war, nahm ich es niemandem übel, dass das Versprechen der angebotenen Hilfe nicht eingehalten wurde, denn irgendwie hat doch jeder  seine eigene Familie, einen Beruf und allerlei eigene Verpflichtungen und somit kaum noch Zeit für andere Dinge.
Auf Grund meines heftigen Bittens kam der Mann meiner Schwester zwei, drei Mal  mit meinem Neffen, um Baumabschnitte zu entsorgen. Mir selbst war es äusserst unangenehm, immer als Bittstellerin dazu stehen und die Antworten, die ich manchmal bekam, waren nicht gerade sehr gefühlvoll. Aber auch sie waren halt in Trauer um meinen geliebten Mann und hatten Probleme, unsren Garten zu betreten, weil sie wussten, dass es die Welt meines geliebten Mannes war und nun würde man ihn dort niemals mehr antreffen. Nur was dachten sie sich wohl dabei, mich dort alleine zu wissen? Wäre es nicht lieb gewesen, mir, die ich eigentlich an erster Stelle mit der Trauer um meinen Mann stand, auch hier eine „kleine Schulter zum Anlehnen“ zu bieten, anstatt mich um Hilfe bitten zu lassen? Zumindest in diesem Fall, da wir ein inniges und sehr gutes Verhältnis hatten, meine Schwester und ich. Na ja, jeder lebte irgendwie in seiner eigenen Gefühlswelt.
 
 Es tat mir sehr, sehr weh, unseren Garten aufzugeben, den wir über 20 Jahre hegten und pflegten und liebevoll „unser kleines Paradies“  nannten. Nach meinem Entschluss, den Garten aufzugeben, plagten mich nächtelang noch zusätzlich fürchterliche Albträume. Ich erwachte oft weinend und schreiend aus dem Schlaf und dachte dann, ich kann den Garten doch nicht einfach so aufgeben, nein, auf keinen Fall! Es steckte unsere ganze Liebe darin. Aber wenn ich dann wieder dort im Garten war und all die viele Arbeit sah, stand ich vor einem riesigen Berg und wusste, dass meine Kraft alleine dafür nicht ausreichen wird. Zumal ich damals nach der Krankheit und dem Tod meines Mannes völlig entkräftet war.
Wie gesagt, sehr schweren Herzens entschloss ich mich „unser kleines Paradies“ in andere,  in fremde Hände zu übergeben. Niemand ahnt, wie es bei dieser Entscheidung in mir aussah, welchen Kampf ich durch machte.
Am Tag der Übergabe habe ich den Bruder meines Mannes gebeten, mich zu unterstützen, dabei zu sein, wenn ich den Kaufvertrag unterschreiben liess. Ich brauchte wirklich ein stütze bei diesem Vorhaben.  Es war einer der schrecklichsten Tage für mich und ich hatte entsetzliche Angst, nicht im Sinne meines Mannes zu handeln.
So setzte ich mich am späteren Nachmittag an einem bestimmten Tag in jenem Herbst,  in mein Auto und begab mich auf den gewohnten Weg in Richtung unseres Gartens. Der Garten war ca. 8km von unsrem Wohnort entfernt. Der Weg dorthin führte mich über einen kleinen Hügel und oben auf dem Hügel hatte man einen herrlichen Rundblick über ein weites Tal. Dort oben befand sich zur rechten Seite ein Weg, ein Abzweig,  der mitten durch die Felder jenes Tales führte. Auf diesem Weg hielt mein Mann oft an, um unseren Hunden Auslauf zu gewähren und seine Seele derweil baumeln zu lassen. Er schwärmte immer wieder von dem wunderschönen Panorama und wie wundervoll der Anblick bis hinten zum  Horizont sei, wo der Himmel die Erde berührt. Vielmals standen wir beide gemeinsam dort oben und betrachteten stillschweigend bei einander stehend herrlichste Sonnenuntergänge. Dieser Platz dort war immer unser Ort zum Meditieren, zum Kraft tanken, insbesondere einmal mehr während seiner schweren Krankheit.
Ohne zu überlegen bog ich von der Strasse ab, parkte mein Auto dort an dem uns einst so vertrauten Platz, um mit meinen Mann im Jenseits zu reden. Mein Herz war so schwer, meine Beine weich und ich zitterte und weinte, denn vor mir lag ein schwerer Weg. Unseren schönen  Garten aufzugeben fühlte sich an, wie noch einmal sterben. Als ich da so an unserem vertrauten Platz stand, schaute ich eine  Zeitlang in den Himmel, ich betete und rief nach meinem Mann. Ich flehte ihn an, mir bitte, bitte ein kleines Zeichen zu geben,  nur ein winziges Zeichen, ob ich diese Entscheidung auch in seinem Sinne getroffen hätte. Mir war so unbehaglich und unwohl, ich hatte Angst, es würde meinen Mann verletzen, dass ich unseren geliebten Garten einfach so aufgab. Doch mir war auch klar, dass es mir alleine unmöglich war, unser kleines Paradies aufrecht zu erhalten. Natürlich war mein Mann dort überall zu finden, denn der Boden war mit seinem Schweiss getränkt und seine Liebe steckte in jedem Beet, in jedem Baum, in jedem Busch, in jeder einzelnen Blume und es gab dort so wunderschöne, einzigartige Rosen, die er mir einst pflanzte. In der ganzen Laube, die er selbst nach unseren Vorstellungen und vielfach auch nach meinen Wünschen zurecht gebaut hatte, war seine Liebe in jeder Ecke wieder zu finden. Und nun war ich auf dem Wege dorthin, um mich von diesem grossartigen Werk, von seinem Ein und Alles zu trennen. Ich war auf dem Weg, alles für immer auszulöschen. Noch eine Weile blieb ich dort im Feld an „seinem“ Platz stehen, irgendwie bekam ich dieses Mal keine Antwort von meinem Mann. Nach einiger Zeit schaute ich auf meine Armbanduhr, es war allerhöchste Zeit zu gehen, denn bis zum Termin der Übergabe war es ich mehr allzu lang und sicher würde mein Schwager schon dort auf mich warten.
Es ist mir unmöglich, die traurigen und schmerzenden Gefühle,  tief in mir, die mich auf dem Gartenweg, bis zur Pforte unseres Gartens plagten, zu beschreiben. Meine Beine waren so weich, dass ich glaubte, ich würde zusammenbrechen. Dann stand ich vor unserer Eingangspforte und ich wusste, es war das allerletzte Mal, dass ich unseren geliebten Garten betreten würde. Ich schaute noch einmal hoch zu dem mächtigen Rosenbogen, der die Eingangspforte weit überspannte und ich sog den wunderschönen Duft dieser rotgelben Rosen, die vereinzelt noch kräftig blühten, noch ein letztes Mal tief in mich ein. Es war eine sehr seltene Duftrose, die mir mein Mann dort einmal gesetzt hatte, er wollte, dass ich mit Liebe dort in unserem Paradies empfangen werde. Ja, er hatte immer so ganz besondere Einfälle und Ideen.  Ich weinte so sehr. Es war ein Gefühl, als stand ich noch einmal am Grab meines Mannes. Plötzlich sah ich ein Schild an unserer Gartenpforte ganz hell und richtig grell leuchten. Auf diesem weissen Schild stand eine Zahl, es war die Nummer unseres Gartens. Irgendwie war ich verblüfft, dieses Schild war mir noch nie aufgefallen…
Erstaunt las ich die Zahl und ich konnte mich wirklich nicht daran erinnern, dass unser Garten überhaupt eine Nummer hatte. Dann fiel mir auf, dass es eine 8 war. Diese 8 stach mir so heftig ins Auge und sie schien so deutlich, so klar, dass ich sie ganz bewusst aufnehmen musste!
Meine Gedankengänge weiss ich noch heute ganz genau, weil mich plötzlich irgendetwas im Innern bewegte, mich aber auch ein wenig beruhigte. Meine Gedanken  waren folgende: „Ach, ist ja komisch… hm,  eine 8 und heute (an jenem Tag) ist auch gerade der 8.te des Monats. Hm, und mein Geburtstag ist der 8. 8. Na ja, manchmal ist alles etwas seltsam.“ Ich verwischte meine Gedankengänge sofort wieder, denn mir lag das bevorstehende Projekt verdammt schwer im Magen.
Dann betrat ich unseren Garten und gab auch der Nummer nicht mehr die geringste Bedeutung. Schliesslich kam der Bruder meines Mannes und wie er mich dort so in Tränen aufgelöst stehen sah, nahm er mich in seine Arme und meinte, ich täte wirklich das einzig  Richtige und dass mein Mann ganz bestimmt meiner Meinung sei. Ich müsse den Garten aufgeben! Noch einmal ging ich zu der Stelle, wo mein Mann vielmals sass oder auch stand und über die weite des Landes schaute. Dort hatte er auch unsere geliebten verstorbenen Haustiere beerdigt und allen ein besonders Blümchen gepflanzt und ein kleines Holzkreuz aufs Grab getan. Die Holzkreuze waren inzwischen schon ziemlich verwittert und einigen sogar ganz weg. Nun stand ich noch einmal dort an dieser Stelle und streichelte unsere alte Hasel. Wie oft hatten wir beide dort unter der Hasel auch gesessen, gelacht und das Leben genossen, vielmals in der Abendruhe, nach Feierabend dem Gesang der Vögel gelauscht. Nun stand mein Schwager an meiner Seite und ich stöhnte angstvoll mit der bangen Frage, ob ich es wohl alles tatsächlich  richtig  sei, was ich da mache. Mein Blick fiel auf die leicht verwilderten Gräber unserer geliebten Haustiere, Erinnerungen kamen hoch  und plötzlich sah ich, dass dort schneeweisse Federn auf einen Haufen lagen, alle in die gleiche Richtung, wie hingelegt. Mich durchzuckte ein richtiger Blitz, der mir ungeheure Gänsehaut machte und irgendwie wusste ich ganz fest in mir drinnen, dass mein Mann die Federn dort hingelegt hat. Ich weiss, dass viele, die das jetzt lesen sagen werden, dass es mein Wunschdenken war, das dieses ein Zeichen meines Mannes gewesen ist. Doch ich kann schwören, dass es kein Wunschdenken war, denn man spürt innerlich wenn es nicht von dieser Welt ist. Ich schrie auf und sagte zu meinem Schwager:“ Mensch, sieh mal, das gibt es doch nicht und so exakt und ordentlich, alle auf einen Haufen.“ Mein Schwager war auch verblüfft und ich spürte, dass er nicht fähig war, etwas dazu zu sagen. Mein Schwager weiss und glaubt an Dinge, die nicht von dieser Welt sind. Ich bückte mich und griff nach diesen Federn und steckte sie sofort in meine Jackentasche. Noch während ich die Federn in meiner Hand hielt, spürte ich an jenem absolut windstillen Nachmittag einen heftigen Windhauch in meinem Gesicht. Nun war mir eindeutig klar, dass sich mein Mann bemerkbar machen wollte. Dankend nahm ich dieses Zeichen an. Plötzlich war ich auch viel beruhigter als noch kurz zuvor. Mir tat diese Gartenübergabe immer noch sehr leid und richtig weh, aber ich trug es nun mit einer besseren Fassung. Als ich unsren Garten verliess, habe ich mich nicht mehr umgeschaut, ich schloss einen Moment die Augen und fühlte den warmen Sommerwind und ich roch noch ein letztes Mal den herrlichen Duft aller Blüten. Ich sah meinen Mann, wie er das Land im Sonnenlicht bewirtschaftet und nur dieses Bild hielt ich in meiner Seele ganz fest, ich brannte es mir dort ein.
 
Zu Hause angekommen rief ich sofort meine Schwiegermutter an, denn auch sie hat mir gut zugeredet, den Garten aufzugeben. Ich erzählte ihr, wie alles verlaufen war und natürlich auch, dass mir erstmals auffiel und dass ich erstaunt war, weil unser Garten sogar eine Nummer hat. Sie lachte und neckte mich, dass ich über 2o Jahre lang gebraucht hatte, bis mir das auffiel. Und dass auch noch ausgerechnet, wo unser  Garten die Nr. 8 hat, wo doch mein Geburtsdatum der 8.8. sei, neckte sie mich weiter. Und dann erzählte ich ihr von den wunderschönen schneeweissen Federn. Sie wollte genau wissen, wie sie aussahen und ich schilderte ihr alles bis ins kleinste Detail. „Sie sehen aus wie aus einem Bilderbuch und sie sind wirklich schneeweiss. Warte mal“  sagte ich zu ihr „ich hole sie, sie sind noch in meiner Tasche, ich hole sie.“ Nun hielt ich die schneeweissen Federn wieder in meiner Hand und sagte ihr, dass es sogar ein ganzes Teil Federn wären. Als sie dann noch wissen wollte, wie viele Federn es waren, musste ich sie selbst erst einmal zählen, denn sie zu zählen, daran hatte ich nun wirklich nicht gedacht, dass war mir gar nicht in den Sinn gekommen und auch absolut nicht wichtig. Doch als ich sie da nun,  so mit dem Telefonhörer in der Hand zählte, bekam ich einmal mehr eine feste Gänsehaut und war völlig aufgeregt! Ja, es waren tatsächlich haargenau  8 Federn!!!
Ich denke, ich muss jetzt nichts mehr sagen, denn es werden eh nur jene verstehen, die wissen, dass wir Zeichen aus der anderen Welt bekommen, wenn wir fähig sind, sie auch zu empfangen.
 
In diesem Sinne
herzlichst Merlin
 
 

 

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